Entspannt, wie so jeden Abend, stand die etwas in die Jahre gekommene Gnomin Tina Kolbenknack an ihrer Küchenzeile und beendete gerade die letzten Vorbereitungen für das gemeinsame Abendessen mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern.
Ein regelmäßiges Ritual, auf das sich stets die ganze Familie freut. Eine Zeit der Ruhe und des Friedens. Denn während am ganzen Tage des Haus voller Leben, den verschiedensten Geräuschen aber auch Kinderlärm ist, so ist gilt am Abend und wenn der Herr des Hauses nach getaner Arbeit nach Hause kommt ein wichtiges Kredo: Ruhe.
Denn Otto Kolbenknack war seit eh und je ein Mann der Ruhe. Er genoss jene aber lebte sie auch selbst aus und war dabei ein Mann weniger oder gar kaum eines Wortes. So sehr, dass sich sogar seine Kinder daran gewohnt hatten anhand seiner Gestik und Mimik mehr über ihren Vater, als über das gesprochene Wort zu erfahren. Und selbst Tina hatte sich nach all den Jahren an das Verhalten ihres Mannes gewohnt. Er war ein fürsorglicher Vater, ein liebender Ehemann und, dank seines eigenen Schweigens, auch ein sehr guter Zuhörer. Zumindest glaubte das Tina. Zusätzlich brachte er das nötige Geld nach Hause. Also welchen Grund hatte Sie da groß sich darüber zu beschweren?
Ein verräterisches Klacken des Schlosses der Haustüre verkündet die Heimkehr des Familienvaters. Und so tritt er in das Augenlicht seiner geliebten Frau. Ein sich ihr täglicher bietender Anblick. Abgetragene, schwarze Stiefel, einen blauen Overall samt grün kariertem Hemd und einer schief sitzenden Gnomenbrille auf der Stirn nebst seinem violettem Schnauzer und Kinnbart sowie der nach oben stechenden Frisur. Und noch während Otto sich dem Nötigsten entledigt, macht sich Tina daran die Kinder zum gedeckten Tisch zu rufen.
„Buri! Elsa! Abendessen!“ ruft sie. Wohl erst die letzten, gesprochenen Worte für den Abend. Otto nähert sich noch kurz seiner Frau, um ihr mit einem liebevollen Lächeln einen Kuss auf die Lippen zu betten, welche die Hausfrau sogleich erwidert, ehe er sich auch sogleich seinem abendlichen Ritual folgend am Tischende breit macht.
Anders als vielleicht in anderen Haushalten treffen auch der kleine Buri und die etwas ältere Elsa ein. Doch anstatt wild, wie Kinder nun einmal sind, die Treppe herunter zu donnern, laufen sie gemächlichen Schrittes jene hinab. Das Kredo der Ruhe war in Mark und Bein übergegangen. Doch scheint auch niemand damit ein Problem zu haben. Im Gegenteil. Die Kinder kennen es nicht anders und selbst Tina genießt die regelmäßige Ruhe. Allein das leise Klimpern von Geschirr und Gläser und das ein oder andere, flüsterleise Kauen sollte zu vernehmen sein.
Für einen Moment hielt Tina inne und blickt von ihrem Teller auf, um ihre Familie zu betrachten. Ein Lächeln bildet sich dabei automatisch auf ihren Lippen. Eine eigene Familie, das war eines ihrer Ziele im Leben und jenes hatte sie geschafft. Zwei gesunde, kluge Kinder und ein liebender, sorgsamer Mann. Ein Gefühl der innere Ruhe und Frieden breitet sich in ihr aus. Was könnte …
„Mh, also heute hat sie wirklich den Vogel abgeschossen!“, erklingt es mit einmal laut. Perplex blickte Tina zu Otto, welcher gerade sich einen Bissen in den Mund geschoben hat und noch am Kauen ist, als er ... zu reden beginnt. Als hätte es die gesamte Familie in Schockstarre versetzt blicken alle drei Gnome ihn mit halb offenem Munde an, während noch ein Stück Brokkoli von Buri's Gabel zurück auf den Teller fällt, als er sichtlich verwirrt und auf halbem Wege inne gehalten hatte.
„Ich weiß auch nicht, was mit ihr los ist. Den einen Tag kommt sie rein, ist super gut drauf und mh … sie hatte uns gar ein paar Süßigkeiten mitgebracht. Das macht sie sonst nie!“, setzt Otto oben drauf und deutet dabei kurz mit der leeren Gabel auf Tina.
Jene erwacht wieder ein wenig aus ihrer Starre und blinzelt leicht verwirrt aufgrund der Situation.
„Von was redest du?“, fing sie vorsichtig aber auch immer noch sichtlich überrumpelt an. Die Brauen des Gnoms zucken kurz und er sieht sie an, als würde er nicht verstehen, was sie meint.
„Na Blattlaub!“, erwidert er darauf rasch und nimmt sich einen weiteren Bissen.
„Wer oder was ist Blattlaub?“, kontert Tina immer noch etwas verwirrt. Selbst Buri und Elsa können nicht anders, als ihren so ungewohnt wortreichen Vater mit verwunderter Miene und leicht offenem Mund zu betrachten.
„Mh, na Blattlaub, die Elfe. Du weißt doch!“ erwidert Otto sogleich wieder selbstsicher im Klang.
„Du redest nie über die Arbeit, Otto!“, fügt Tina hinzu und war gefangen zwischen Aufbrausen und anhaltender Verwunderung.
„Na klar, hab ich das!“ setzt der Gnom sogleich wieder an und blickt, als wolle er sich eine Bestätigung dafür holen zu den beiden Kindern. Doch diese verziehen weiterhin keine Miene und schütteln stattdessen nur langsam und synchron ihre Köpfe.
„Egal!“, fährt der Gnom fort und wischt das Thema mit der freien Rechten flapsig zur Seite, ehe er wieder zu Tina blickt und mit der Gabel auf sie deutet. „Lafeya Blattlaub, eine Kaldorei. Seit geraumer Zeit bei uns in der Werkstatt.“
„Eine Kaldorei Elfe bei euch in der Werkstatt?“, erkundigt sich Tina mit immer noch verwirrter Miene. Abermals wischt Otto das Thema mit der freien Rechten etwas bei Seite.
„Ist nicht so ne' typische Elfe.“ dabei hebt er er die Hände leicht deutend samt der Gabel in der Linken an. „Natur, Natur, Ischnu Dalldepp und so!“ kurz hält er inne. „Mh, eigentlich ne' ganz Nette. Aber auch ein bisschen drüber!“
Abermals deutet er dabei mit der Gabel auf Tina. „Seit sie da ist wirkt es, als würde sie mit dem Besen durch die Werkstatt kehren. Dabei hatten Corvelius und ich uns schon an die lang anhaltende Ruhe gewohnt!“
„Wer ist … ?“, setzt Tina nach dem Wortschwall ihres Mannes an aber schüttelt denn leicht ungläubig den Kopf.
„Mh, Corvelius, mein alter Arbeitskollege auf der Arbeit! Zwerg, braunes Haar und Bart! Nein?“ Doch es folgt nur ein leichtes Kopfschütteln von Tina. Abermals wischt Otto das Thema bei Seite.
„Vorgestern kam sie zur Arbeit, noch mehr energiegeladen als sonst, sag ich dir! Hätten sie in der Nähe der leeren Batterien abstellen können. Die wären im Nu geladen gewesen!“ kurz hält er inne. „Da hatte sie dann auch noch ein paar Leckereien mitgebracht. Ich sage ja, sie ist ne' Nette. Hab' aber auch nicht weiter nachgefragt. Wir reden eh schon viel zu viel den ganzen Tag miteinander!“
„Du … redest mit deinen Arbeitskollegen?“, entkommt es Tina.
„Mh, klar!“
„Seit wann?“
„Schon immer! Ich führ' auch gern Kundengespräche!“ er wischt erneut das Thema bei Seite. „Aber Blattlaub drückt sich da immer gern vor. Kaum kommt ein Kunde rein rennt sie an mir vorbei und spricht die Leute an.“, setzt er fort. Doch das entlockt der Gnomin die erste Reaktion, in der sie ungläubig drein blickend eine Braue anhebt.
„Egal! Jedenfalls war es heute das komplette Gegenteil.“ Erneut deutet er mit der Gabel auf Tina. „Hast du schon einmal eine scheintote Elfe gesehen? Hättest sie mal sehen müssen. Ich wusste nicht, dass Elfen Augenringe haben können. Sah total fertig aus, das arme Ding! Hatte schon gedacht sie hatte eins dieser experimentellen Transporter genutzt und ihr böses Spiegelbild stand vor mir. Gibt Geschichten dazu sage ich dir!“, fährt der Gnom fort, während Tina nur knapp, ungläubig nickt. Selbst die Kinder haben wieder langsam mit dem Essen begonnen. Doch blieb der Blick auf deren Vater fixiert, als würden sie nicht glauben können, was gerade vor ihren Augen passiert.
„Jedenfalls kam sie rein und setzte sich wie immer an ihren Zeichentisch. Doch starrte sie das Ding ans, als würde sie darin einen tieferen Sinn suchen. Irgendwann kam dann Corvelius, die alte Tratschtante. Aber selbst der stellte ihr nur vorsichtig ne' Tasse Kaffee hin. Der stand dann aber auch den ganzen Vormittag unberührt neben ihr. Dabei trinkt sie das Zeug wie Wasser.“
Otto hält inne und schien dann wieder doch kurz seinem Hunger zu folgen. Tina blinzelt und schüttelt kurz, leicht ungläubig den Kopf. Ihre Neugierde war nun entfacht.
„Ja und … dann?“
Fragend blickt Otto mit einem Bissen zwischen den Lippen auf und sieht sie fragend an. Rasch wird jener heruntergeschluckt.
„Mh, wir hatten noch ein paar Schnittarbeiten von gestern zu erledigen. Irgendwann ist sie wie ein Geist aufgestanden und hat sich an der Säge zu schaffen gemacht.“ erwidert er und zuckt mit den Schultern. „Die weiß ja eigentlich, was sie tut. Aber Corvelius war das nicht geheuer und ging ihr nach.“ Abermals deutet er mit der leeren Gabel auf Tina. „Glück hat sie gehabt! Corvelius ist zwar alt aber hat gute Reflexe. Konnte gerade noch so den Notausschalter drücken, als Blattlaub, warum auch immer wohl dabei war ihre Hand in der Säge zu versenken.“
„Herrje, geht es ihr gut?“ setzt Tina darauf wieder an und hatte in all der Zeit ihr eigenes Essen vergessen. Viel zu sehr war sie nun von ihrem sprechendem Mann als auch der Geschichte fasziniert. Die beiden Anderen hatten mittlerweile ihren Kopf so tief an den Teller geführt, das sie blind alles in sich hinein schaufeln und dabei in gleicher Weise neugierig zu ihrem Vater blicken. Dieser wischt das Thema abermals mit Rechten bei Seite.„Schnittwunde. Hat wohl geblutet, wie ein Schwein. Aber Corvelius hatte für einen Moment so nen' komischen Blick drauf. Starrte sie an, als würde er irgend einem wilden Tier gegenüber stehen.“
„Was? Wieso? Was ist passiert?“ fordert Tina mehr zu wissen. Abermals die gleiche Handbewegung des Ingenieurs.
„Keine Ahnung, konnte nicht viel sehen. Er wollte ihr wohl helfen. Dann hat sie ein Knurren los gelassen, sag ich dir. Das hab ich zuletzt auf dem Festland erlebt, als wir uns mal die exotische Tierwelt angesehen hatten. Der alte Zwerg meinte auch nur, dass er sich zuletzt bei seiner Schlingendorn Reise so gefühlt hat, als ihm und seiner Truppe ein Panther vor die Füße gesprungen wäre.“ Dabei wischt er abermals die Sache mit der Rechten bei Seite und nimmt sich einen weiteren Bissen. „Mh, Irgendwas mit Augen und Eckzähnen. Dabei hat sie die doch immer!“ Kurz hält er inne. „Jedenfalls konnte er sie dann doch beruhigen, die beiden sind hoch und irgendwann kamen beide wieder runter, die Rechte von Blattlaub dick eingepackt. Dann ging sie wortlos an mir vorbei, nahm ihre Sache und weg war sie. Corvelius meinte, dass er sie zum Arzt und dann nach Hause geschickt hat.“ Ruhig setzt der Gnom darauf wieder sein Mahl fort.
„Hat er denn erfahren, was los war? Warum sie so war?“, setzt Tina nun rasch, neugierig und auch besorgt im Klang hinterher. Otto hebt nur kauend die Schultern an.
„Nicht wirklich. Hat ihm wohl nichts gesagt. Er meinte nur, dass ihr etwas durch den Kopf zu gehen scheint, sie damit aber nicht arbeitsfähig wäre.“
„Hat sie jemanden, der sich um sie kümmert.“, setzt nun Tina wieder hinzu.
„Nicht dass ich wüsste.“, erwidert der Gnom und zuckt mit den Schultern. „Hat so n' kleines Eichhörnchen, was ihr ab und an Sachen bringt und sie beobachtet. Aber ob das darunter fällt?“ Sogleich blicken die beiden Kinder wieder etwas neugieriger drein. Doch als sie merken, dass ihr Vater wohl nicht weiter darauf eingeht senken sie fast schon etwas enttäuscht wirkend wieder die Köpfe.
„Schaust du nach ihr?“, will Tina darauf wissen.
„Wieso sollte ich?“, erwidert der Gnom und sieht sie fragend an. Doch diese Antwort schein der Gnomin gar nicht zu gefallen.
„Weil sie eine Arbeitskollegin von dir ist und sie sich verletzt hat?!“, fährt Tina langsam hoch, was die beiden Kinder wieder sichtlich überrascht wirkend empor blicken lässt. Unstimmigkeiten hatten sie selten erlebt. Otto hingegeben scheint dabei selbst ein wenig von der ungewohnten Art seiner Frau überrumpelt zu sein.
„Weiß du was? Ich mach' ihr ein paar Sachen und morgen nach der Arbeit bringst du sie ihr gefälligst vorbei, richtest ihr liebe Grüße aus und erkundigst dich danach, wie es ihr geht, in Ordnung?“, fügt die Gnomin ihren Worten noch hinzu. Doch Otto scheint zu verstehen, dass es sich dabei um keine Frage handelt. Dafür kannte er seine Frau mittlerweile nach all den Jahren gut genug. Ein stummes Nicken folgt.
Und so kehrt wieder die gewohnte Ruhe im Hause Kolbenknack ein.